Dienstag, 2. August 2011

Qingdao

Qingdao - die Schweiz des Ostens, wie es die Chinesen angeblich zu nennen pflegen.
Bei dieser Vorankündigung wussten wir nicht recht, was wir zu erwarten hatten. Holzchalets und Raclettestände dürften es kaum sein, dies war selbst uns recht schnell klar, aber was mag es sein, das einer Stadt zu diesem Übernamen verhilft?

Beim Verlassen des Bahnhofs strecken wir vorsichtig unsere Riecher in die Luft, riechen aber keine saftigen Wiesen oder mild süsse Schokolade... Nein, die Luft ist viel eher geschwängert von frischem und vor allem von nicht mehr ganz so frischem Seafood, von Stinky-Tofu und mit einer Brise Abgas. Dies kann also hoffentlich nicht der Grund für den Übernamen sein, es sei denn, Schilderungen über die Schweiz gelangen so nach China, wie wir es uns nicht wünschen. Unsere Suche nach Hinweisen muss also witergehen. Ganz in der Nähe unserer Jugendherberge gelangen wir auf einen Strassenmarkt, der in uns Erinnerungen an einen Markt in Kambodscha aufkommen lässt. Nach dem Besuch des Marktes in Kambodscha haben wir damals die Toiletten in unserer Nähe für etwa zwei Wochen mit heftigen Niederschlägen beglückt. Der Markt also auch nichts, wo ein Schweizer Lebensmittelkontrolleur seinen Stempel abgedrückt hätte - unsere Ankunft in Qingdao also insgesamt eher ernüchternd und herausfordernd.
Auch die Suche nach Nahrung auf dem Nachtmarkt beschleunigte die Überwindung des kleinen Kulturschocks nicht wirklich. Selbst nach dem Versuch, den Riechkolben auf Pause zu stellen, kommt man nicht so schnell aus dem Staunen. Gibt es im Meer eine Kreatur mit Namen - die Chinesen essen sie.
Frische Fische, getrocknete Fische, gepresste Fische, gegrillte Fische. Seeigel, Tintenfische, Quallen. Und klar, einen Seestern in seiner vollen Grösse zu verspeisen erfordert einiges an Kiefereinsatz, aber wo ein Wille ist, ist auch ein Weg.
Was sich dann wirklich nicht verspeisen lässt, kann man dann immer noch als Wandschmuck oder als Spielzeug gebrauchen. Bei den kleinen Schildkröten ist einfach das Problem, dass die sich so nach zwei Tagen nicht mehr so lustig bewegen und dann auch bald zu stinken beginnen. Eine Koralle oder eine getrocknete Meeresschildkröte für an die Wand ist da schon um einiges unproblematischer.
An dieser Stelle haben wir übrigens aufgehört, nach Parallelen zur Schweiz zu suchen. Wir reisen ja schliesslich nicht der Schweiz wegen, sondern der Eindrücke des Fremden wegen, ist ja klar! ;-)
Mit der wiederentdeckten Offenheit konnten wir das Durchstreifen der Stadt auch wieder viel mehr geniessen! So war es beispielsweise sehr spannend, den Einheimischen beim Bierkauf auf der Strasse zu zusehen. Wie schon geschrieben, ist Qingdao die Heimat des Tsingtao Bieres und dementsprechend hat jeder Laden und jedes Restaurant einige Fässer Bier vor der Tür. Die Einheimischen kaufen DIREKT ab der Gasse im Plastiksack. Nein, nicht die Flaschen im Plastiksack, sondern direkt das Bier im Sack! Der Sack wird dann gewogen und bezahlt wird das Bier nach Kilo.
In Shanghai war es schon am Morgen 37,5 Grad, man war also schnell auf Betriebstemperatur und hätte eine Abkühlung dankend angenommen, das Meer war allerdings zu weit weg. In Qingdao ist es fast 10 Grad kühler, dafür hat die Stadt selbst 6 Badestrände. Wir entschieden uns also für eine Nachkühlung der Shanghaier Hitze und liegen einen Tag lang am Strand. Da soll noch einer sagen, wir seien knapp in der Zeit. Jedenfalls haben wir es genossen. Nach diesem Tag nichts tun, haben wir dann fast so gelächelt, wie es die Chinesen die ganze Zeit immer wieder tun. Uns erschienen die Chinesen als sehr freundlich, höflich, unaufdringlich und hilfsbereit. Stossen wir mit unserer Zeichensprache an Grenzen, fragen sie sich auf der Strasse durch, bis sich jemand finden lässt, dem die Klarheit schaffenden englischen Worte in den Sinn kommen. Lächelt man auf der Strasse jemandem zu, wird einem ein herzhaftes Lachen zurück geschenkt.
Bei Sehenswürdigkeiten wird man auch dann und wann von ganzen Touristengruppen schüchtern gefragt, ob man sich nicht mit ihnen Fotografieren lassen würde. Es könnte also durchaus sein, dass es unsere verschwitzten Antlitze auf die eine oder andere chinesische oder mongolische Diashow schaffen könnte.
Ebenso kurzfristig wie wir den letzten Abstecher auf einen Berg abgesagt hatten, haben wir uns diesmal für einen Ausflug auf einen anderen Berg entschieden. Und zwar für einen Tagesausflug auf den nahe gelegenen Laoshan, wir gingen also z'Bärg. Da sich ein Schweizer oben in den Bergen einfach glücklich fühlen muss, waren auch wir glücklich saubere Luft zu atmen und schöne Aussichten zu geniessen.
Zurück in der Stadt, begannen wir dann langsam aber sicher, das quirlige Durcheinander und das lebendige an jeder Ecke zu mögen und zu geniessen. Glücklicherweise ein grosser Kontrast zum aufgeräumten Shanghai.

Jetzt, nach drei Tagen Qingdao geht's per Zug ab zum gastgebenden Botschafts-Informatiker Mao Schui nach Peking. Ab von der Jugi mit Schimmel an den Wänden in ein Apartment im Kempinski.
Mao Schui, Beijing, Kempsinksi, Kulturschock, wir kommen!

PS Was ist Reisen? Ein Ortswechsel? Keineswegs! Beim Reisen wechselt man seine Meinungen und Vorurteile. (Anatole France 19. Jhrt.)
PPS Klar waren wir in der Brauerei - klar haben wir uns durch das Sortiment probiert.

Keine Kommentare: